Veröffentlicht im Magazin kommunikationsmanager – 04 2020.

BASF hat über 100 Millionen Atemschutzmasken gespendet. Aldi, Edeka, Lidl und Co. haben mit dem Bundesfrauenministerium die bundesweite Aktion „Zuhause nicht sicher?“ für Opfer von häuslicher Gewalt unterstützt. McDonalds spendete Essen an die Tafeln. „Keep your distance“ war die zentrale Markenbotschaft vieler Unternehmen und entsprechend wurden Firmenlogos adaptiert: Coca-Cola, die Deutsche Bank und auch VW und Audi symbolisierten diese durch auseinandergerückte Buchstaben oder Zeichen. Als im Mai 2020 George Floyd bei einer Verhaftung in Minneapolis getötet wurde und die 2013 entstandene Bewegung „Black Lives Matter“ weltweit wieder in aller Munde war, skandierten viele Firmen wie Nike mit „Don’t do it” oder fügten ihrem Logo den Hashtag #BlackLivesMatter hinzu. Wer das nicht tat, war schon fast „verdächtig“ oder wie Netflix schreibt: „To be silent is to be complicit“[1]. In stürmischen Zeiten scheint Stillschweigen keine Option mehr zu sein.

73% der Verbraucher:innen wünschen sich gesellschaftliches Engagement von Marken

Die Tatsache, dass Unternehmen soziale und/oder politische Haltung zeigen, ist kein Novum. Milton Friedmans Mantra „Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Profite zu vergrößern“ scheint ausgedient zu haben. 73% der Deutschen wünschen sich gesellschaftliches Engagement von Unternehmen[2]. 66% der Deutschen stehen Marken, die sich engagieren, positiver gegenüber[3]. 74% der „Generation Next“ erwarten von Marken nicht nur nachhaltiges und verantwortliches Handeln, sie sind auch überzeugt, dass sie durch den selbstbestimmten Konsum die Produktion und die Produktionsverhältnisse ändern können und werden[4].

Bereits 2018 gliederte sich Deutschland bei der Frage „Würden Sie die Produkte eines Unternehmens häufiger kaufen, wenn es öffentlich eine politische Meinung äußert, die Sie teilen?“ in zwei nahezu gleich große Lager auf: 39,4% antworteten mit Ja, 42% sagten Nein[5]. Die Umfrageergebnisse bestätigten auch, dass die Kommunikation politischer Positionen attraktive wirtschaftliche Chancen bietet, wenn Kund:innen und Unternehmen auf der gleichen politischen Wellenlänge liegen.

Bei Marken wie True Fruits oder Fritz Kola ist die politische Positionierung schon seit Jahren zentraler Bestandteil der Zielgruppenkommunikation. Nachdem Fritz Kola bereits 2017 mit großflächigen Plakaten rund um den G20-Gipfel dazu aufrief, Trump, Erdogan und Putin mögen endlich „aufwachen“, spitzten sie 2020 mit der Kampagne „Zwei Nullen. Eine schmeckt.“ weiter zu. Auf den darauffolgenden Shitstorm aus der rechten Szene reagierte Fritz Kola mit einer Spende eines Euros pro Hasskommentar für das Flüchtlingsprojekt „Aktion Deutschland Hilft“ und die Initiative gegen rechts „EXIT-Deutschland“. Die polarisierende Aktion inklusive des einkalkulierten Shitstorms brachte Fritz Kola weitere Aufmerksamkeit und eine noch größere Bühne, um Haltung zu zeigen.

Doch sozial-politische Haltung im Marketing ist inzwischen nicht mehr nur ein Thema für Nischenprodukte. Das zeigt zum Beispiel Beck’s nach den Ausschreitungen von Chemnitz im August 2018 mit der Kampagne „Gegen braune Flaschen“. Und auch jetzt gerade positionierten sich Unternehmen wie die BVG, DB Cargo und Ryanair klar politisch zum Thema US-Wahl.

 

Gemeinsame Werte treiben Markenliebe und Loyalität

Markenliebe und -loyalität werden nicht mehr allein durch Faktoren wie Mystery, Sensuality und Intimicy[6], Innovationskraft und Kreativität bestimmt, sondern vor allem auch durch die Wertschätzung und Haltung, die eine (Unternehmens)-Marke zeigt. Die Frage, ob ich als Verbraucher:in mit einer Marke gemeinsame Werte teile, gewinnt Bedeutung. In Zeiten politischer Spaltung und sozialer Ungerechtigkeit wird es deshalb immer schwieriger, sich aus allem raushalten zu wollen, was nicht direkt mit der eigenen Geschäftstätigkeit zu tun hat. Gemäß einer Civey/JPKOM-Umfrage im August 2019 ist der gesellschaftliche Wandel mit 21,9% eine der größten Herausforderungen, vor der ein:e CEO der Zukunft in Deutschland steht. Zudem erwarten 52% der Bevölkerung, dass CEOs Stellung zu wichtigen gesellschaftspolitischen Themen beziehen.

Die eher zurückhaltende Art deutscher Unternehmen wurde spätestens mit dem AfD-kritischen Tweet von Siemens-Chef Joe Kaeser im Mai 2018 aufgerüttelt. Die Diskussion darüber, ob sich Marken und Unternehmen politisch positionieren sollten oder nicht, wurde „salonfähig“. Allerdings fühlte sich Kaeser damals wohl von seinen Dax-Kolleg:innen im Kampf gegen Populismus allein gelassen[7]. Einfacher war es dagegen sicherlich mit dem Engagement zur Europawahl 2019 als Konzerne wie die Deutsche Bahn, Lufthansa und Thyssenkrupp und auch Verbände wie Gesamtmetall zur Wahlbeteiligung aufriefen.

Corona hat die Erwartungshaltung an Marken verstärkt

Gerade in Krisenzeiten setzen Menschen laut Edelman Trust Barometer 2020 auf die Unterstützung von Marken: 82% der Deutschen fordern, dass die Werbung einer Marke den Fokus darauf legt, wie die Produkte und Dienstleistungen den Menschen helfen können, mit pandemiebedingten Anforderungen umzugehen. 45% der Deutschen geben an, dass das Verhalten einer Marke gegenüber dem Coronavirus Einfluss auf künftige Kaufentscheidungen hat. 63% der Deutschen machen deutlich, dass Marken und Unternehmen, die in der Krise ihre Gewinne über die menschlichen Bedürfnisse stellen, ihr Vertrauen für immer verlieren könnten[8].

Adidas, Deichmann, H&M und Puma haben sich zu Beginn der Pandemie durch die „Mietenstopp-Entscheidung“ einen lauten Shitstorm samt Boykott eingehandelt. Die beiden SPD-Europaabgeordneten Katarina Barley und Tiemo Wölken twitterten sogar direkt, dass sie keine Adidasschuhe mehr kaufen würden.

Noch sieht ein Großteil der Deutschen (45%) laut YouGov zwar auch in einem Skandal keinen Grund, auf eine Marke zu verzichten, aber Menschen, die schon einmal aufgehört haben, eine Marke zu nutzen, haben eine klare Haltung, wenn es um die Themen Marken, Werbung und Nachhaltigkeit geht:

  • „Ich finde es gut, wenn Unternehmen eine moralische Botschaft haben.“ (86% der Markenboykottierer:innen)
  • „Vertritt eine Marke eine Ansicht, der ich nicht zustimme, werde ich nicht mehr bei ihr kaufen.“ (68% der Markenboykottierer:innen)
  • „Ich versuche, nur bei Unternehmen einzukaufen, die sozial und ökologisch verantwortlich handeln. (70% der Markenboykottierer:innen)[9]

Haltung zeigen ist kein Marketinghype

Die in Deutschland über Jahrzehnte bewährte Praxis, dass man sich auf den Kern seines Geschäftes fokussieren und sich auf keinen Fall zu sozial-politischen Themen äußern sollte, gilt nicht mehr grundsätzlich und nicht in jedem Fall. Wer keinen Standpunkt vertritt, stimmt dem Status quo zu und macht sich auf Dauer vielleicht sogar „verdächtig“. Verbraucher:innen wollen wissen, wofür eine (Unternehmens)-Marke steht.

Wie bei allen Positionierungsaktivitäten sollte unbedingt mit einer sorgfältigen internen Bestandsaufnahme begonnen werden:  Für welches Thema hat man sich traditionell schon immer eingesetzt? Wofür steht die Marke bisher? Welche Werte charakterisieren die Zielgruppen? Wie glaubwürdig unterstützen bisherige interne Systeme und Prozesse die Botschaft? Bei welchen Themen kann ich eine Führungsrolle einnehmen und Dinge positiv bewegen? Wo springe ich nur auf eine Welle auf, auf der alle kurzfristig „reiten”? Kann die Marke eine Plattform für öffentlichen Austausch und Diskussion sein? Was kann konkret erreicht werden? Welche Risiken sind damit verbunden? Aber auch: Welche Chancen entwickeln sich daraus? Denn viele Menschen wünschen sich Arbeitgeber, die einen positiven Beitrag zu übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen wie nachhaltigem Konsum, Diversität und Zugang zu Bildung leisten und die gegen politische Spaltung eintreten. Gemeinsame Werte teilen – als Mitarbeiter:in und als Verbraucher:in – das ist wichtig.

„Haltung zeigen“ sollte auf jeden Fall nicht als kurzfristiger Marketingtrend verstanden werden. Deutsche Verbraucher:innen sind (zu Recht) misstrauisch: 54% der Konsument:innen glauben, dass Marken nur aus Eigennutz handeln[10]. Haltung muss sich aus der DNA einer Marke oder eines Unternehmens ergeben. Zwar haben 86% der Unternehmen einen Purpose definiert, aber 83% haben noch nicht überlegt, was das abteilungsgreifend bedeutet oder welche Ziele konkret verfolgt werden[11]. Hier muss angesetzt werden. Einen übergreifenden Sinn zu proklamieren, ist noch der einfache Teil der Übung. Wertschätzung und Haltung müssen sich aber in konkreten Handlungen zeigen und dürfen nicht als Motto in einem Social Post enden. Gerade in stürmischen Zeiten erwarten das die Verbraucher:innen. Wer es ernst meint und auch ernst nimmt, wird sich positiv absetzen. Als Marke und als Unternehmen.

[1] https://twitter.com/netflix/status/1266829242353893376

[2] Capgemini, Mai 2020

[3] YouGov BrandPurpose Corona Analyse, Juni 2020

[4] Konsum 2025, 2019

[5] Civey/JP KOM September 2018

[6] Lovemarks Definition von Saatchi & Saatchi CEO Kevin Roberts aus 2004

[7] Jan Dirk Kemming „Marken als politische Akteure“, Springer Gabler 2019

[8] Edelman Trustbarometer 2020 Special Report „Markenvertrauen und die Corona-Pandemie”

[9] YouGov Brand Boycotters Analyse, 2020

[10] YouGov, Mai 2020

[11] Responsable Business Tracker